Schamanen oder Priester − Welterfahrung und Religion: Vor dem Kontakt mit den Europäern war das Leben der Kalaallit von einer eigenen Glaubensvorstellung geprägt. Für die Ureinwohner war das Land, in dem sie lebten, beseelt. Auf der einen Seite – so ihre Überzeugung – gab es die Menschen mit ihrem Bedürfnis, zu überleben, auf der anderen Seite die unberechenbare Natur, die mit Kälte, Eis und Dunkelheit die Menschen bedrohte. Grönlands Ureinwohner lebten im Hier und Jetzt, und es war die Aufgabe von Schamanen (»angakút«), die Balance zwischen Mensch und Natur immer wieder aufs Neue herzustellen. Dann aber brachten die Europäer mit dem Christentum eine völlig andere Weltsicht nach Grönland – und mit ihr die Vorstellung, dass es Wahrheiten gebe, die jenseits einer praktischen Alltagsbewältigung auf etwas Überzeitliches und Universelles verweisen. Damit verbunden war auch eine europäisch geprägte Vorstellung von Zivilisation.
Der Schamane – ein billiger Taschenspieler? Die europäischen Missionare waren nicht zimperlich darin, die traditionellen Kulthandlungen der Schamanen in aller Öffentlichkeit bloßzustellen. Sie versuchten, die magischen Rituale als Taschenspielertricks zu entlarven – und hatten damit Erfolg. Eines der wichtigsten Mittel zum Schutz gegen Gefahren jeder Art war für die Ostgrönländer das Amulett. Männer trugen es an einem Harnisch aus Riemen bei sich, Frauen steckten es in den Haarknoten. Auch Kleidungsstücke und Geräte wurden mit Amuletten versehen.
Kunst & Handwerk: Nach westlich geprägtem Verständnis ist Kunst ein eigener kultureller Bereich, der sich auch dadurch vom Alltäglichen abhebt, dass Kunst keinem unmittelbaren, eindeutig zugewiesenen Nutzen oder Zweck unterliegt. Als solches war sie den grönländischen Ureinwohnern fremd – und wurde von ihnen auch nicht produziert. Sie kannten das traditionelle Kunsthandwerk, mit dessen Hilfe sich alltägliche Funktionen ästhetisch oder rituell überhöhen ließen. Durch den Kontakt mit den Europäern bildete sich – zunehmend vor allem im 19. Jahrhundert – in Grönland ein Zugang zur Kunst heraus, der auf der Einführung des westlichen Kunstbegriffs beruhte. Der grönländische Begriff für Kunst lautet »eqqumiitsuliaat« – »etwas Gemachtes, das sonderbar ist«. Bis heute ist es ein Merkmal der grönländischen Kunst, dass sich in ihr Motive der indigenen Vorstellungswelt mit europäischen Ausdrucksformen verbinden.In der traditionellen Gesellschaft Grönlands waren kunsthandwerkliche Fähigkeiten lebensnotwendig. Alle Gegenstände des täglichen Gebrauchs mussten selbst hergestellt werden. Mit dem Einzug der westlichen Warenwelt gingen die handwerklichen Fähigkeiten der Frauen beinahe verloren. Doch eine engagierte Gegenbewegung förderte die Pflege des Kunsthandwerks. Zu ihr zählte auch der grönländische Maler Niels Lynge (1880–1965), in dessen Haus 1918 Frauen beim Nähen fotografiert wurden.
»Tupilak« Dem grönländischen Jäger und Künstler Aron aus Kangeq verdanken wir die älteste Darstellung eines Tupilak. Sie illustriert die Geschichte eines Mannes, der aus Ärger über den Jagderfolg des alten Nikook insgeheim einen Tupilak schuf, um ihn zu töten. Nikook überraschte den Übeltäter jedoch, als er sich von seinem monströsen Geschöpf die Lebenskraft aus dem Leib saugen ließ und dabei selbst zu Tode kam.