Eine Alltagsgeschichte
04:30 Uhr – Noch bevor die Sonne aufgeht, strecken die ersten Bewohner des Hofs ihre Glieder. Thorstein hat sein Wams mit einem Gürtel festgeschnallt und die ledernen Schuhe geschnürt. Jetzt packt er wie jeden Morgen die wichtigsten Utensilien in seine Gürteltasche: einen Wetzstein und einen Feuerstahl. Er überprüft, ob sein Messer noch scharf genug ist, und steckt es in die Scheide. Den Umhang mit der Ringfibel als Verschluss legt er für später bereit.
04:44 Uhr – Gudrid legt ihre Kleidung an und hat ihren Schmuck bereitgelegt. Sie wählt zwei ovale Schalenfibeln für ihr Kleid aus. Leise fluchend sucht sie für ihren Umhang nach der vergoldeten kleeblattförmigen Fibel, die sie so gern trägt, kann sie aber nicht finden. Stattdessen greift sie schließlich zu einer gleicharmigen Fibel. Währenddessen hat ihre Schwiegermutter begonnen, die Kinder zu kämmen.
05:00 Uhr – Die Großmutter trägt zwei tierkopfförmige Fibeln, wie es in ihrer Heimat Gotland üblich ist. Fischkopfförmige Anhänger schmücken ihren Hals. Ihre Armreifen und den Umhang mit einer dosenförmigen Fibel als Verschluss will sie später umlegen. Sie verscheucht die Kinder, die vor der Feuerstelle toben, und beginnt mit den Vorbereitungen für das Morgenmahl.
06:00 Uhr – Für Thorstein gab es heute Brot mit Skýr (eine Art Joghurt). Frisch gestärkt tritt er vor die Tür und hört schon die Hühner, Kühe, Schweine und Schafe rufen, die dringend versorgt werden wollen. Während Gudrid und ihre Schwiegermutter den Abwasch machen, macht sich Thorstein an die Aufgaben des Tages. Heute will er die Äcker für den Getreideanbau pflügen und den Gemüsegarten umstechen.
09:00 Uhr – Gudrid versperrt die Essensvorräte der Familie. Besonders aus den Weinamphoren, die Thorstein von seiner letzten Fahrt ins Rheinland mitgebracht hat, soll niemand etwas stehlen können! Es ist gut, dass der Knecht des Nachbarhofs am frühen Morgen etwas Honig vorbeigebracht hat. Merkwürdig eilig hatte der es heute, wundert sich Gudrid, und überhaupt: wo ist eigentlich ihre geliebte Fibel hin verschwunden? In diesem Moment kommt aufgeregt die Tochter angelaufen und erzählt, dass sie bei den Nachbarn eine Fibel gesehen hat, die der ihrer Mutter zum Verwechseln ähnlich sieht. Gudrid wird wütend.
11:00 Uhr – Als Thorstein das Langhaus betritt, sind die Frauen mit den Kleidern beschäftigt. Die Großmutter strafft mit einem Glättstein die frisch gewaschenen Leinenkleider. Während Gudrid ihrem Mann davon berichtet, dass ihre Fibel gestohlen wurde und nun bei den Nachbarn aufgetaucht ist, beginnt sie damit, Wolle zu spinnen. Energisch bringt sie ihre Spindel mit dem Wirtel aus Bernstein zum Kreisen. Sie beschwört ihren Mann, endlich Rache zu nehmen, denn dies war nicht der erste Diebstahl des Nachbarsknechts!
14:05 Uhr – Währenddessen lässt Gudrid den alten Knecht Eiskufen aus Knochen schnitzen, die sich die Familie im Winter unter die Schuhe schnallen kann. Er schnitzt auch Nadeln und sägt Kämme aus Knochen und Geweih, die Thorstein auf seinen Handelsreisen eintauschen kann. Zufrieden beaufsichtigt sie seine Arbeit. Unter ihrem strengen Blick käme kein Knecht auf die Idee zu stehlen!
14:10 Uhr – Nach dem Mittagessen spielen die Kinder vor dem Langhaus. Einer der Kleinen lässt einen Schnurrer an einer Schnur kreisen. Die beiden Ältesten sind über ein Brettspiel gebeugt. Thorstein hört sie aufgeregt tuscheln und schnappt dabei auf, dass sie beobachtet haben, wie der Nachbarsknecht die Lieblingsfibel der Mutter aus der Truhe genommen hat. Es stimmt also! Wutenbrannt läuft Thorstein zum Nachbarshof.
17:00 Uhr – Thorstein findet den Knecht schließlich am Ufer und konfrontiert ihn mit den Vorwürfen. Doch der streitet alles ab, bis Thorstein immer wütender wird und die Axt gegen ihn erhebt: nach einem Hieb sinkt der Knecht tot zu Boden. In der Zwischenzeit hat Gudrid auf dem Hochsitz Platz genommen, der nur Thorstein und ihr vorbehalten ist. Da kommt ihr Mann herein und reicht ihr die wiedergewonnene Fibel. Gudrid ist erleichtert. Während Thorstein erzählt, was passiert ist, gibt es einen Eintopf aus Gerste, Fisch und Frühlingskräutern, den auch die Großmutter mit ihren 45 Jahren noch gut kauen kann.
19:00 Uhr – Die friedliche Stimmung wird jäh getrübt, als der Nachbar auf dem Hof auftaucht. Er stellt Thorstein zur Rede: wie konnte er nur seinen Knecht erschlagen? Beschwichtigend erklärt Thorstein die Sache mit der Fibel. Gudrid bringt in einem Trinkhorn selbstgebrautes Bier zur Versöhnung, sodass der Nachbar endlich einlenkt.